Was urn das Jahr 1919 als wesentlich neue Idee auftrat - wenn es sich
auch teilweise auf Vorlaufer, wie A. A. COURNOT in Frank- reich, JOHN
VENN in England, GEORG HELM in Deutschland, stlitzen konnte -, war die
Auffassung, daiS die Wahrscheinlichkeitstheorie ein T eil der
theoretischen N aturwissenschaft ist, von der gleichen Art wie die
Geometrie oder die theoretische Mechanik. Ihr Objekt ist das Gebiet der
Massenerscheinungen und Wiederholungsvorgange, wie das Objekt der
Geometrie die Gesamtheit der Raumerscheinun- gen ist. Durch Abstraktion
und Idealisierung, die nur zum Teil freie Tatigkeiten des Geistes sind,
wird ein System von Grundbegriffen geschaffen und darauf ein logisches
Gebaude errichtet, das Schllisse auf die Wirklichkeit erlaubt vermoge
der Zusammenhange, die zwi- schen den Grundbegriffen und den
beobachteten Elementarerschei- nungen bestehen. Quantitative
Wahrscheinlichkeit muf5 definiert wer- den mit Beziehung zu unbegrenzt
gedachten Folgen von Beobachtun- gen oder Experimenten; andernfalls ist
eine rational begrlindete Anwendung auf die Wirklichkeit nicht moglich.
Die relative Hau- figkeit der Wiederholung ist das "MaW' der
Wahrscheinlichkeit, wie die Ausdehnung der Quecksilbersaule das "MaiS"
der Tempe- ratur ist. - Dies sind die Grundgedanken der neuen
Auffassung, die bei ihrem ersten Auftreten als ein volliger Bruch mit
allgemein angenommenen Anschauungen erschien, heute aber in einem gewis-
sen Grade Gemeingut fast aller Autoren geworden ist, die sich mit den
Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung befassen.