Es ist in der geschichtlichen Riickschau bemerkenswert, daB die erste
Bearbeitung der Geistesstorungen des Kindesalters der Feder des
Forschers enstammt, dem die Psychiatrie auch die erste selb-" standige
Allgemeine Psychopathologie zu verdanken hat, des Freiburger Klinikers
EMMINGHAUS. Die von dem Mittelpunkte der klinischen Psychiatrie nach
zwei besonderen Richtungen gewendete Einstellung des klinischen
Interesses und des Fragens nach den allgemeinen Grund- lagen des
Gebietes hat eine mehr als zufallige und personliche Be- deutung. Denn
die Psychopathologie des Kindesalters, das hat ihre Geschichte deutlich
gezeigt, steht zur allgemeinen Psychopathologie und zu den sie weithin
bestimmenden Stromungen in der Psychologie selbst in Beziehungen von
besonderer Art. Das beweist am deutlichsten der jahrzehntelang wahrende,
be- herrschende EinfluB der assoziationspsychologischen Richtung. Auch
eine kritische Stellungnahme zu ihr wird niemals verkennen diirfen, daB
sie auf dem Gebiete der kindlichen Psychologie und Psycho- pathologie
Wege gebahnt und eine groBe Fiille tatsachlichen Wissens erschlossen
hat. Dnd auch hier war es der Fiihrer dieser Richtung in der klinischen
Psychiatrie und allgemeinen Psychologie, TH. ZIEHEN, der eine
monographische Darstellung der Geistesstorungen des Kindes- alters
unternahm. Wie es dem geschlossenen Gefiige der assoziations-
psychologischen Grundlage entspricht, vollzog sich die Dbertragung der
auf die klinische Psychiatrie des Erwachsenen angewandten Ge-
sichtspunkte viel glatter, reibungsloser mochte man sagen, als es von
jeder anderen psychologischen Basis aus denkbar ist. Diese einseitige
EinheitIichkeit tragt aber zugleich die Vorraussetzungen moglicher
Vollstandigkeit des, von ihr aus gesehen, einer neuen Ordnung nicht
bediirftigen Stoffes in sich.