Das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten fiir das deutsche Leser-
publikum darzustellen, ist eine ebenso dankbare wie schwierige Aufgabe:
Dankbar, weil es sich lohnt, den GrUnden nachzugehen, warum eine Ver-
fassungsurkunde aus dem 18. Jahrhundert sich so lange als die Grund-
lage des Staates bewahrt hat, der heute die fiihrende Macht der
westlichen Welt ist; schwierig, weil Verfassungsordnung und
Verfassungstechniken der Vereinigten Staaten weitgehend von dem Bild
abweichen, mit dem der deutsche Leser in seiner eigenen Umgebung
vertraut ist. Die folgenden Erwagungen mogen zum Verstandnis beitragen:
Zunachst: Wenn auch die bei der Schaffung der Verfassung in ihr ver-
korperten Grundsatze sich bis heute im groBen ganzen erhalten und nach
einzelnen Richtungen sogar verstarkt haben, hat sich das gegenwartige
Verfassungsleben so weit von der ursprunglichen Struktur der Verfassung
entfernt, daB ein wirklichkeitsgetreues Bild nur dann gewonnen wird,
wenn festgestellt wird, weichen Gebrauch die verschiedenen Machttrager
oder Staatsorgane - KongreB, Prasident und Gerichte - von den ihnen nach
dem Verfassungstext zugewiesenen Zustandigkeiten gemacht haben. Dies
kann nur durch die Heranziehung der Verfassungspraxis oder, was in
Amerika damit gieichbedeutend ist, der Verfassungspolitik geschehen. Das
positive Verfassungsrecht bedarf also durchgehend der Erganzung durch
die Methaden und MaBstabe der wissenschaftlichen Politik. Dieser
Grundeinstellung der Darstellung wird mit V orbedacht auch im Titel des
Buches Rechnung getragen, das Verfassungsrecht und Verfassungs- praxis
miteinander verbindet.