1. Obwohl das Rind ein weltweit verbreitetes, seit Jahr- tausenden im
Dienst des Menschen stehendes Nutztier ist, begann man erst in jüngster
Zeit, sich Gedanken über sein Verhalten zu machen. Bislang konnte es
sich der Ethologe leisten, solche Tier- arten zu studieren, die sich
ohne großen Kapitalaufwand beschaf- fen und halten ließen. So fußt unser
Wissen über das tierische Ver- halten auf den Erkenntnissen, die man an
Fischen, Insekten, Vögeln und Nagern gewonnen hat; Tinbergen (1965),
Eibl-Eibesfeldt (1967) und Immelmann (1976) haben dies ausführlich
dokumentiert. Erst mit dem Aufkommen der modernen Tierproduktion rückten
auch die großen Säugetiere, im speziellen die landwirtschaftlichen Nutz-
tiere, in den Brennpunkt der Verhaltensforschung. Im Zuge der
Intensivierung sperrte man große Tier- kollektive in kleine,
technisierte Ställe ein. Diese neue Ent- wicklung zwang das Einzeltier,
sich mit zunehmend unnatürlicheren, künstlichen Lebensbedingungen
auseinanderzusetzen, in denen es als "Produktionsmaschine" sein Soll zu
erfüllen hatte. Daß diese Maschine belebt war und über ein Einzelleben
verfügte, das sich in Form von individuellen und sozialen
Verhaltensbedürfnissen äußert, übersah man zunächst weitgehend. Die
Folgen hiervon waren nicht eingeplante Anpassungsstörungen, mit denen
sich der Tier- produzent notgedrungen befassen mußte, da sie zu
Leistungsein- bußen seiner Tiere führten.