In der Geschichte der Beziehungen der griechisch-römischen Welt zum
Osten, insbesondere zu den Ländern am Indischen Ozean, gibt es eine
Reihe von Ereignissen, Personen und Dokumenten, die der Forschung teils
seit jeher, teils freilich erst nach langem Bemühen der Wissenschaft,
chrono- logische Rätsel aufgeben. Zu den sich hier zeigenden Problemen
gehört das Datum des sog. Periplus des Roten Meeres, unserer wichtigsten
Quelle für den graeco-ägyptischen Indienhandel der Kaiserzeit, ferner
die Frage, wann die aksumitische Kirche gegründet bzw. das
Aksumitenreich christianisiert wurde, und endlich die Regierungszeit des
großen Kushan-Herrschers Kanishka und das Ende der Partherherrschaft im
Indusgebiet. Die Lösung der genannten Probleme ist deshalb von so großer
Wichtigkeit, weil ohne ein halbwegs sicheres chronologisches Gerüst
unser im Detail gar nicht so spärliches Wissen über die römische Außen-
und Handelspolitik, über die Beziehungen der griechisch-römischen
Kulturwelt zu den nicht unmittelbar benachbarten Ländern des Ostens und
über die Bedeutung jener Länder für das literarisch faßbare Weltbild
eines Gebildeten der Kaiserzeit notwen- digerweise unbefriedigend
bleibt. Die Datierung König Kanishkas der zu Ehren schon ein Kongreß der
Spezialisten abgehalten wurde, sei den Indologen und Iranisten
überlassen, die freilich einer Einigung ferner denn je zu sein scheinen.
An Hand der Quellen aus dem Mittelmeergebiet im weiteren Sinne läßt sich
zu dieser Frage wohl kaum etwas Erhebliches sagen. Die beiden anderen
oben auf- geführten Probleme jedoch betreffen nicht zuletzt die
wichtigste Kontakt- region im Verkehr zwischen Indien und der antiken
Welt, nämlich die Küstenzonen des Roten Meeres.