Das vorliegende Buch zur spätrömischen Kunst hat über hundert Jahre nach
seinem Erscheinen noch immer den Rang eines Klassikers der
Kunstgeschichtsschreibung. Der Autor Alois Riegel (1858-1905), Professor
für Kunstgeschichte und Denkmalpfleger in Wien, legt hier aus Anlass der
Publikation spätantiker und frühchristlicher Metallfunde in
Österreich-Ungarn zugleich auch eine Entwicklungsgeschichte der
spätrömischen Kunst im Mittelmeerraum vor. Er beschreibt die
grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten der spätantiken und christlichen Kunst
in Architektur, Skulptur, Malerei und Metallkunst (Ornamentik), wie z.
B. die neue Raumauffassung und das Verhältnis zu Fläche und Perspektive.
Revolutionär ist seine Auffassung, die spätrömische Kunst, die von der
Forschung bis dahin vernachlässigt worden war, nicht als eine Phase des
Verfalls gegenüber der griechisch-römischen Hochkunst zu begreifen,
sondern ebenfalls als eine Epoche des Fortschritts, die erst der
christlichen Kunst den Weg geebnet hat. Er stellt einen neuen, modernen
Stilbegriff vor, der ohne ästhetische Wertung, ohne ein subjektives
Ideal die generellen Eigenschaften eines Kunstwerks erfassen will. Unter
dem Eindruck der Entwicklung der Psychoanalyse führt Riegel den Begriff
des Kunstwollens ein. Das Kunstwollen, auf dem der Stil einer Epoche
beruht, ist der Trieb des Menschen, sein Verhältnis zur Welt durch Kunst
zu gestalten und zu reflektieren. Riegl wurde mit diesem Werk einer der
bedeutendsten Vertreter der sogenannten Wiener Schule. Nachdruck der
Erstausgabe von 1901.