Die erste Auflage dieses Bandes "Soziale und angewandte Psychiatrie" er-
schien 1961. Seither wurden die Wechselwirkungen zwischen dem
gesellschaft- lichen Feld und der Psychiatrie intensiver und weiter. Die
Sozietiit fordert und uberfordert die Psychiatrie, und umgekehrt scheint
es iihnlich zu sein. Der Be- griff "Sozialpsychiatrie" wird strapaziert,
indem er fiir soziologische und epide- miologische Forschung, aber auch
fiir moderne gemeindenahe Therapieformen verwandt wird. Diesseits von
klinischem und soziologischem Dogmatismus ist Psychiatrie sozial, wenn
sie in ihre Theorie und Praxis die Beziehung zwischen Individuellem und
Transindividuellem (soweit dieses nicht rein biologisch be- stimmt ist)
aufnimmt. Sozialpsychiatrie ist keine modische Rivalin einer klinischen
Psychiatrie, die mit ihr nun zu wetteifern hiitte. Sie ist auch keine
Gegen- Psychiatrie sondern Psychiatrie in gesellschaftlicher
Perspektive. Daher halten die Herausgeber mit Bedacht am alten Titel des
Buches fest: Psychiatrie wird, wo sie vollen Sinn gewinnt, notwendig
eine "soziale" und "ange- wandte" sein. Wir wollen die Psychiatrie nicht
als eine Bindestrich-Disziplin an zeitgebundene Stromungen der Theorie
oder Praxis der Sozialwissenschaften knupfen. Dieser Band legt
einerseits das Gewicht auf Methoden und Ergebnisse
gesellschaftsbezogener empirischer Forschung in der Psychiatrie,
andererseits auf die institutionellen und therapeutischen Dienste in der
gesellschaftsbezogenen psychiatrischen Praxis. Es wurde einmal gesagt,
soziale Psychiatrie sei nichts anderes als umfassend verstandene
klinische und poliklinische Psychiatrie. In solchem Sinne steht dieser
Band III der Psychiatrie der Gegenwart in engem Zusammenhang zu den
klinischen Biinden I und II der Zweitauflage.