Wenige Themen waren in den letzten Jahren politisch so umstritten wie
die Befriedigung unseres Energiebedarfs durch Kernenergie. Die
Kontroverse, die bisweilen die Kraft zu haben schien, einen
uniiberbriickbaren Spalt in die Ge- sellschaft zu treiben, hat auch die
Rechtswissenschaft und die Rechtspraxis in starkem Mag erfagt. Es gibt
kaum ein Kernkraftwerk, urn das nicht - oft in mehreren Instanzen - in
Gerichtssalen gerungen wurde. Und das Atom- recht hat sich inzwischen
zum Kampffeld fiir rechtsdogmatische Konstruk- tionen und
rechtspolitische Vorschlage entwickelt, auf dem vorbildhaft fiir andere
Rechtsbereiche das grundsatzliche Verhaltnis von Staat und Recht zu
Technik und Wissenschaft entschieden wird. Die allseitige Leidenschaft
der Auseinandersetzung ist nicht nur aus ei- nem Streit urn Kraftwerke
erklarbar. Es geht urn mehr als nur urn technische Fragen der
Energieversorgung oder der Sicherheitstechnik. Die techno logie- und
wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Energiesektor - darin kom- men
beide Seiten iiberein - sind auf J ahrzehnte hinaus Weichenstellungen
fiir die gesellschaftliche Organisation und das politische Schicksal der
Bundesre- publik. Gestritten wird im Grund darum, wie wir in Zukunft
leben mochten und wie nicht. Aus diesem Grund sind die Entscheidungen
fiir oder gegen ein Energiesystem auch danach zu befragen, ob und wie
sie mit den Zielen der gesellschaftlichen Ordnung und Entwicklung
vereinbar, inwieweit sie also so- zialvertraglich sind.