N oeh vor vierzig J ahren standen der Chemiker wie der Metallurge und
Metallkundler vor unlosbaren Problemen, wenn es galt, einen Reak-
tionsmeehanismus zu klaren, wo die entscheidenden V organge sich in oder
an einem festen Korper abspielen, wie z. B. bei Zundervorgangen an
Metallen und Legierungen, bei Reduktionsvorgangen an Erzen, bei
Ausscheidungs- und Aushartungsvorgangen in Metallegierungen und bei
keramischen Reaktionen. Nicht nur fehlte es haufig an den notwendigen
thermodynamischen Daten, sondern auch an den kinetischen GroBe- wie
Diffusionskoeffizienten gittereigener Bausteine und Fremdatome bzw.
-ionen. Eine brauchbare Arbeitshypothese zur Deutung dieser
Festkorperreaktionen und Platzwechselvorgange in festen Stoffen war noch
nicht vorhanden. Aus diesem Grunde ist es auch nicht verwunder- lich,
daB praktisch alle Arbeiten der damaligen Zeit, die sich mit der
Reaktionsfahigkeit fester Stoffe befassen, rein empirischer Natur sind
und infolgedessen auch keine GesetzmaBigkeiten iiber den Reaktions-
mechanismus erkennen lassen. Obwohl die Reaktionsfahigkeit fester Stoffe
meistens erheblich kleiner ist als die der Fliissigkeiten und Gase, so
ist sie doch haufig groBer als man vermutet. In einzelnen Systemen
sogar, wie z. B. bei der Reaktion des Kupfers und Silbers mit Schwefel
und Selen, ist die Reaktionsgeschwindigkeit von derselben GroBen-
ordnung wie die fliissiger Reaktionssysteme. Andere Reaktionen wieder-
um verlaufen selbst bei Temperaturen von 1000 bis 1500 °C so langsam,
daB man Versuche iiber Tage und Wochen ansetzen muB, um zu meB- baren
Effekten zu gelangen.