\Ich will hier die Geschichte des Marx Omlis erzählen. Er ist frühauf
ein Schlingel und daneben Hirt und Jäger und Bergführer und sonst noch
viel Unruhiges gewesen. In seinem Leben gibt es leichte und schwere
Kapitel und mit so bunten Gesichtern, dass man zweifeln könnte, ob es
immer de nämliche Held sei. Aber immer schauen die gleichen Berge herein
mit langen, grauen Felsenleibern und Silberhüten auf dem Kopf. Und immer
leuchten die gleichen grünen Alpen aus ihrem Schoß herauf und schellt
und brüllt es vom gleichen braunscheckigen Vieh um all die niedrigen
Stadel und ihre alten, steinbeschwerten Schindeldächer. Vor allem aber
dräut aus jedem Blatt immer der gleiche wilde und schöne Kopf des
Pilatus gen Himmel. Und am Pilatus klebt und hängt das Leben des Marx
Omlis fest. Von ihm hat er sich nicht losmachen können, so weit er auch
floh. Der graue, alte Berg spielt die Hauptrolle in seinem Leben. Er war
sein Freund und Feind, ist seine Wiege und sein Grabstein geworden.\
[...] Der Schweizer Heinrich Federer war nicht nur katholischer
Priester, sondern auch ein begnadeter Schriftsteller, dem mit seinen
\Lachweiler Geschichten\ 1911 der Durchbruch gelang, bis er später
wegen seiner angeblichen Homosexualität in Vergessenheit geriet. Die
Erzählung \Pilatus\ datiert aus dem Jahre 1913 und beschreibt in
wunderbarer Weise Leben und Wirken eines Schlingels, Hirten, Jägers und
Bergführers in der Zentralschweiz.