Mit Abstand bilden Tiirken die Mehrheit der in Deutschland lebenden
AusUinder. Wie alle AusUindergruppen sind sie iiberproportional von
Arbeitslosigkeit betrof- fen. Tiirkische Kinder haben es auf deutschen
Schulen schwer. Nur 55 Prozent von ihnen gelingt ein erfolgreicher
AbschluB der Hauptschule. Zum VersHindnis der besonderen sozialen
Schwierigkeiten tiirkischer Einwandererfamilien gehOren griindliche
Kenntnisse ihrer heimatlichen Dorfkultur und ihres ursprunglichen
Wertesystems. Ein erstes Verdienst dieses bemerkenswerten Buches liegt
darin, daB es dem Leser die Eigenarten der anatolischen Dorfkultur
anschaulich nahebringt, aus der die groBe Mehrzahl der tiirkischen
Einwanderer hervorgegangen ist. Dabei beweist die Autorin ihre guten
Kenntnisse in Ethnopsychoanalyse. Sehr differen- ziert erlautert sie z.
B. die oft falschlich vereinfachend dargestellte Struktur des Ge-
schlechterverhaltnisses. Bis in die Jugend hinein sind die Manner im
offentlichen Bereich dominierend. Aber im Hintergrund iiben die sehr gut
informierten Frauen einen wichtigen kontrollierenden EinfluB aus. Sehr
ausgepragt ist die autoritare Disziplinierung der Kinder. Es wird eine
fruhe und intensive Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen
Elternteil bewirkt. In ihrem Selbstwertgeruhl holen die Madchen im
Verlauf der Entwicklung ihren Riickstand gegeniiber den Jungen auf, was
damit erklart wird, daB der tiirkische Mann in der Adoleszenz eine
Selbst- wertkrise erlebt. Die traditionelle Geschlechtertrennung wird
allmahlich aufgeho- ben. Durch die Arbeitsmigration der Manner
entwickelt sich ein starkerer und selbstbewuBterer Frauentyp. -Die
Verhaltensregulation der Familie wird in her- vorragendem MaBe durch
Scham bestimmt. Wesen der Schamkultur ist, daB alles auf die Wirkung
nach auBen bezogen wird.