In der vorliegenden Arbeit wird die Frage untersucht, unter welchen
Bedingungen Leidenserlebnisse zu Lernerfahrungen führen. Diese Frage
erwuchs aus einer Panelstudie über den Transformationsprozeß in
Ostdeutschland. Viele Reaktionen der befragten Ostdeutschen wiesen auf
Leidenserlebnisse hin - so der Ausspruch "Wir leiden weiter, aber auf
höherem Niveau"! -, und diese habe ich meinem Dissertationsprojekt
mittels biographischer Interviews genauer betrachtet. Die Untersuchung
will jedoch kein Beitrag zur Transformationsforschung sein, sondern
Typen des Leidens und Lernens herausarbeiten. Diese Typen beinhalten
sehr unterschiedliche Formen des Leidens und verschiedene Arten des
Lernens. Bei einer der Befragten ist z. B. das Lernen aus einem Leiden
sehr schwach und grenzt an Perspektivlosigkeit. In "ritualisierten
Empörungen" gibt es dagegen ein Leiden und Lernen gleichsam in mittlerer
Reichweite. Mitunter ist das Lernen intensiv, insofern die Betroffenen
eigene biographische Entscheidungen für ihre Leiden verantwortlich
machen. Unter diesen Umständen kann das Leiden sogar als Faktor für eine
Individualisierung verstanden werden. Um Zusammenhänge zwischen Leiden
und Lernen zu erkennen, war zunächst eine geeignete Untersuchungs gruppe
auszuwählen. Ich habe mich für die 2 mittlere Erwachsenengeneration der
DDR entschieden. Zunächst einmal kann man sagen, daß sie keine Extrem-
oder Randgruppe ist, sondern viel eher aus BürgerInnen besteht, die sich
an einem "Normallebenslauf' orientieren; Berufs- arbeit und
Familieninteressen standen in der DDR viele Jahre im Vordergrund. In
dieser Hinsicht ist es eine soziologische Herausforderung, gerade in
einer solchen Gruppe nach Leidenserlebnissen zu suchen.