Was tut ein Leser, wenn er liest? Rekonstruiert er einen
Handlungszusammenhang? Ist er das disziplinierte Weberschiffchen, das
Zeile für Zeile einen Text abarbeitet? Wie genau kann ein Text ausgelegt
werden? Wieviel Freiheit hat ein Leser? Was hat das Lektüreergebnis noch
mit dem initiierenden Text zu schaffen? Diesen Fragen geht die
vorliegende Arbeit nach und zieht vier Literaturtheorien zu Rate:
Hermeneutik nach ihrem Begründer Friedrich Schleiermacher und ihrem
Reanimator Hans Georg Gadamer, Rezeptionsästhetik (Wolfgang Iser) und
Dekonstruktion (am Beispiel Jacques Derridas). Als These kristallisiert
sich aus der - chronologischen - Bearbeitung dieser unterschiedlichen
Theorieansätze heraus, dass dem Leser während der Lektüre eine
zunehmende Freiheit gewährt wird. Vom diktatorischen Interpretieren von
Texten gelangt man über das divinatorische Überinterpretieren und die
unvollkommene, zerlöcherte Wahrnehmung hin zu einer textgeleiteten, aber
dennoch freien Semiose. Dementsprechend plädiert diese Arbeit für ein
lustvolles Lesen, das Angebote des Textes annimmt, die eigenen Kriterien
jedoch nicht aus dem Blick verliert. In einem zweiten Teil wird das
gewonnene Instrumentarium an Werken von Thomas Pynchon, Elfriede Jelinek
und Milan Kundera expliziert.