Shinto wird oft als einheimische Religion Japans angesehen, in der sich
archaische animistische oder naturreligiose Elemente bis heute bewahrt
haben. Zugleich wird Shinto auch als nationalistische politische
Ideologie charakterisiert. Dies geht auf die Zeit nach 1868 zuruck, als
Japan sich in einen modernen Nationalstaat wandelte und dabei die
Verehrung von Shinto-Schreinen zum nationalen Kult erklarte. Dieser
sogenannte Staatsshinto wurde 1946 unter der alliierten Besatzung zwar
abgeschafft, doch die historischen Verbindungen zwischen Shinto und dem
Nationalismus hinterliessen sowohl in der popularen als auch in der
wissenschaftlichen Wahrnehmung des Shinto ein ambivalentes Bild. Der
vorliegende Band enthalt acht Beitrage fuhrender Experten der
japanischen Geistesgeschichte aus Japan, Europa und den USA, die diesen
Fragen aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive nachgehen: Welchen
Einfluss ubte der Staatsshinto auf die Shinto-Forschung vor und nach dem
Zweiten Weltkrieg aus? Wie reagierten japanische und internationale
Gelehrte auf die ideologischen Bedingungen des japanischen
Nationalismus, inwiefern trugen sie dazu bei? Wie weit pragten
nationalistische Diskurse anderer Lander (insbesondere der
Nationalsozialismus) die Darstellung des Shinto? Aus den verschiedenen
Blickwinkeln der einzelnen Beitrage wird deutlich, dass es keine
einheitliche Ideologie des Staatsshinto gab. Die Betonung der rituellen
Aspekte des Shinto durch die politischen Eliten fuhrte vielmehr dazu,
dass die akademische Shinto-Forschung als Mittel nationalistischer
Propaganda von vergleichsweise geringer Bedeutung war. Fur die
Konzeptualisierung des Shinto selbst waren die modernen, "westlichen"
Religionswissenschaften anscheinend ebenso wichtig wie traditionelle,
"nativistische" Ansatze.