Es würde sicher zu lauten Protesten führen, den Dramatiker Heiner Müller
als Zugpferd vor den Karren der Emanzipationsbewegung zu spannen.
Oftmals bieten seine Frauenfiguren Nährstoff für Chauvinisten, Machos
und Frauenfeinde. Genauer durchleuchtet allerdings sind sie Leitfiguren
für den Anspruch auf Gleichberechtigung. Dabei nimmt Müller kein Blatt
vor den Mund, sprengt die Norm mit seinem zum Teil sexistisch anmutenden
Vokabular, welches ihm auch den Vorwurf "Macho-Dichter" und Frauenfeind
einbrachte. Doch seine brutale Sprache dient als Stilmittel nicht der
Persiflage, sondern der Provokation. Müller zerstört altbackene
Traditionen und Moralvorstellungen. In der Sprache des Arbeiter- und
Bauernstaates stellt Müller die Frage nach den Arbeiterinnen und
Bäuerinnen, nach Autorinnen und Revolutionärinnen und der Zukunft von
zwischenmenschlichen Beziehungen. Dabei nimmt er seine eigenen
Geschlechtsgenossen und damit sich selbst auf die Schippe. Männer tragen
in seinem Werk durchweg debil-hedonistische und opportunistische Züge,
während Frauen die Vorbild-Revolutionäre sind. Sie sprengen die Ketten
der männlichen Vorherrschaft bis hin zur widernatürlichen Überwindung
der eigenen Weiblichkeit. Doch was bleibt, wenn die tradierten Regeln
ausradiert werden? Ist eine Einheit, eine Gleichheit von Mann und Frau
in der sozialistischen Gesellschaft möglich? Immer wieder hinterfragt
Müller Weiblichkeit und Männlichkeit. Der Kampf der Geschlechter ist
dabei die Folie für sein Verständnis von Geschichte als Schlachthaus.
Hier sind Frauen die Produzenten der Schlächter. Gibt es einen Ausweg
aus diesem blutigen Dilemma von Macht, Krieg und Tod? Müllers
Lösungsformel lautet: Tod den Müttern - dann hat auch das Schlachten ein
Ende.