\Delacroix hatte von der Mutter die Zartheit der Empfindung und
vielleicht die geschickte Hand, die auffallend klein war; von dem Vater
den philosophischen Geist, die männliche Energie und etwas, das bei dem
Umfang des Künstlers gering erscheint, den nie verhehlten Anstand des
homme du monde und des klugen, wenn auch nie doppelzüngigen Diplomaten.
Talleyrand hatte ihn auf den Knien gewiegt. Freilich besaß er nicht die
Maske des normalen Weltmannes, überhaupt keine normale Maske. Der
olivene Teint, das bis ins Alter rabenschwarze Haar, der breite Mund mit
den breiten Zähnen, das energische Kinn, die stark zurückliegenden, oft
fieberhaften Augen gaben ihm etwas Fremdartiges, Exotisches. Er erschien
auf einem Maskenball, den der Herzog von Orleans in den Tuilerien gab,
in einem orientalischen Kostüm und hätte, berichten die Augenzeugen,
wirklich für einen morgenländischen Fürsten gelten können. Er war nicht
schön, sah eher wild aus, und zu dieser Wildheit bildete die vollendete
Ruhe, seine sehr gewählten Bewegungen und die stille, temperierte
Liebenswürdigkeit einen seltsamen Kontrast. Hinter dem frühzeitig
durchgearbeiteten Antlitz ahnte man Stürme. Wenn Michelangelo zu seiner
Zeit gelebt hätte, wäre er ähnlich gewesen.\ [...] Julius
Meier-Graefe beschreibt in seinem vorliegenden Buch auf wunderbare Weise
das Leben, die Werke und die Zeit des französischen Malers Eugène
Delacroix (1798 - 1863). Illustriert mit über 140 historischen
Abbildungen. Dieses Buch ist ein unveränderter Nachdruck der
Originalausgabe von 1913.