Entwicklungslinien der politikwissenschaftlichen Dritte Welt-Forschung
Franz Nuscbeler 1. Vorbemerkungen zur Konzeption und Komposition dieses
Sonderheftes Dieses Sonderheft will eine Bilanz der
politikwissenschaftlichen Dritte Welt-For- schung in der Bundesrepublik
ziehen. Dieser Versuch muß unvollständig und selek- tiv bleiben. Auch
ein dickleibiger Sammelband kann die Differenzierungs-und Spezia-
lisierurigsprozesse, theoretischen Kontroversen und Paradigmenwechsel,
die diese Spe- zialdisziplin in ihrer kaum drei Jahrzehnte langen
Entwicklungsgeschichte durchge- macht hat, nur schwerpunktmäßig
rekonstruieren. Einige Entstehungsprobleme ver- schärften noch diese
Selektionswirkung: Erstens wollte der Herausgeber bei der Auswahl der
Themen und Autoren keine Rücksicht auf die verbandspolitische Spaltung
der deutschen Politikwissenschaft nehmen, die vor allem in den Bereich
der Internationalen Politik hineinwirkt. Diese Absicht gelang nur
teilweise, weil die Verbandsspaltung offensichtlich die Bereit- schaft
zum Dialog und zur Kontroverse über Verbandsgrenzen hinweg lähmt (vor
al- lem dann, wenn dieser Dialog in einem Publikationsorgan der DVPW
stattfinden soll). Die Verbandskonkurrenz erwies sich also bisher nicht
als diskursive Stimulanz, son- dern als kontraproduktives Nebeneinander.
Unter Verweigerungen zur Mitarbeit litt vor allem der Versuch, die in
den 70er Jahren geführte "große Debatte" zwischen Modernisierungs-und
Dependenztheoretikern kri- tisch aufzugreifen und konstruktiv
fortzuführen. Es hätte sich beispielsweise gelohnt, über den von Manfred
Mols (1982) erhobenen Vorwurf der Ökonomisierung, des Ge- genstands- und
Profilverlusts einer spezifisch politikwissenschaftlichen Entwicklungs-
lehre zu streiten. Ersatzweise soll dieser Disput zumindest punktuell in
dieser Einlei- 1 tung geführt werden.