Die von 1915 bis 1918 durchgefuhrten Untersuchungen an Kriegsgefangenen
der Habsburger Monarchie standen in der Tradition von fruheren
Forschungen durch osterreichische Wissenschaftler im Vielvolkerstaat der
Monarchie, aber auch bei Fernreisen und in Kolonialgefangnissen. Die
wissenschaftlichen Erhebungen im Ersten Weltkrieg brachten zwar keine
tief greifende methodische Neuerung, ermoglichten aber die systematische
und massenhafte Durchfuhrung von anthropologischen, sprach- und
musikwissenschaftlichen Untersuchungen im eigenen Land und den Entwurf
von Auswertungsmethoden. So beforderten sie auch akademische Karrieren -
in Osterreich im Besonderen von Rudolf Poch, Josef Weninger und Robert
Lach. In den heute grosstenteils erhaltenen Aufzeichnungen aus den
Kriegsgefangenenlagern sind sowohl die wissenschaftlichen Verfahren
selbst als auch Widerstande dagegen dokumentiert. Die bildlichen und
plastischen Aufzeichnungen lassen sich als Sichtbarmachungen von
"Rassezugehorigkeiten" in der physischen Anthropologie beschreiben, die
Tondokumente gesprochener und gesungener Texte dagegen als
Horbarmachungen. Letztere wurden ebenso wie die Arbeitsobjekte der
physischen Anthropologie im wissenschaftlichen Anspruch auf
"Objektivitat" hergestellt. Sie dienten als typische Beispiele einzelner
(Fremd-)Sprachen, umfassen jedoch mit sprachlich artikulierten
Botschaften eine zusatzliche, inhaltliche Ebene: Einige Stimmen von
Gefangenen reflektieren explizit die Umstande ihrer Aufzeichnung - den
Krieg, die Lager, die Wissenschaft, den Akt des Sprechens selbst. Das
Buch spurt der Wissenschaftsgeschichte dieser Tonaufzeichnungen, aber
auch ihren bis heute nicht gehorten Erzahlungen nach.