Die Frage nach Vorbildern und Traditionen beschäftigt die Bundeswehr und
ihre Luftwaffe seit ihrer Gründung. Im Kern ging es auch immer darum, ob
es noch zeitgemäß wäre, allein genuin soldatische Tugenden in der
Traditionspflege zu kultivieren, selbst wenn diese für ein
verbrecherisches Regime erbracht wurden. Im Herbst 1976 wurde der Oberst
a.D. Hans-Ulrich Rudel zu einem Traditionstreffen auf einen Fliegerhorst
der Luftwaffe eingeladen. Brisanz erhielt dieses Treffen auch dadurch,
dass sich Rudel politisch weit im revisionistischen und
verfassungsfeindlichen Milieu der jungen Bundesrepublik bewegte.
Verantwortliche Offiziere beschwichtigten im Anschluss diese Einladung
mit einem gerade im Bundestagswahlkampf 1976 schiefen Vergleich und
werden daraufhin entlassen. Vorgeschichte, Ablauf und Rezeption seines
Besuches sollten in einen der nachhaltigsten Skandale der
Bundeswehrgeschichte münden. Daniel Schilling beleuchtet in diesem Band,
wie Bundeswehr, Politik und Medien in der Bundesrepublik Deutschland
Ende der 1970er Jahre mit Tradition, Geschichtspolitik und soldatischen
Tugenden umgingen. Er zeigt dabei, wie fehlende Reflexion und mangelndes
Problembewusstsein ein Grunddilemma deutscher Streitkräfte in die
Schlagzeilen brachten.