Michael Kreile Maastricht und die Grenzen einer Integrationsstrategie
Die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes fällt zusammen mit
einer Wachs- tumskrise der Europäischen Gemeinschaft, deren Dauer und
Konsequenzen gegen- wärtig noch nicht abzuschätzen sind. Die heftige, ja
überhitzte Debatte, die der Prozeß der Ratifizierung des in Maastricht
vereinbarten Vertrages über die Europäische Union in einigen
Mitgliedsstaaten ausgelöst hat, hat deutlich gemacht, daß die über vier
Jahrzehnte verfolgte Integrationsstrategie an Grenzen stößt. Der"
permissive Konsens", der bisher die westeuropäische Integration
begleitet und getragen hat, bröckelt un- versehens ab. Die Akzeptanz von
Europapolitik geht zurück (vgl. Reif 1992). Das Versprechen höherer
Wachstumsraten und die Logik technokratischer Steuerungsmo- delle
reichen offenbar nicht mehr aus, um eine Integrationspolitik zu
legitimieren, die Bürgernähe nur beschwören, aber nicht erfahrbar machen
kann. Statt des "Europas der Bürger" treten die Bürger gegen Europa in
Erscheinung. Insofern kündigen wo- möglich das dänische wie das
französische Maastricht-Referendum europapolitische Konflikte an, die
eine Phase der Stagnation des europäischen Einigungsprozesses einleiten
oder ein Europa der" variablen Geometrie" begründen könnten. Zweifellos
leidet die Maastricht-Debatte nicht nur in Deutschland daran, daß die
Schwäche von Regierungen und ein konjunktureller Abwärtstrend
zusammentreffen. Die Komplexität der Materie und die "Unlesbarkeit" des
Vertrages tragen sicherlich zur Konfusion in der öffentlichen
Auseinandersetzung bei. Ähnlich wie Wahlen zum Europäischen Parlament
viel eher nationale "Nebenwahlen" sind als Entscheidungen über
europapolitische Streitfragen, haben die Stimmbürger bei den
Volksabstimmun- gen über Maastricht auch für oder gegen ihre Regierung
votiert.