Die Erinnerung an kulturelle Prozesse, verbunden mit der Herausbildung
von modernen Schriftsprachen und Nationalliteraturen bzw. der Bewahrung
nationaler Identitat (Polen) in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts,
ist fur das Selbstverstandnis der slavischen Kulturen Zentraleuropas von
grosster Bedeutung. Traumatische kollektive Erfahrungen von Kriegen,
Totalitarismen und okonomischen Zwangen, welche die jungen
Nationalstaaten im 20. Jahrhundert zu gewartigen hatten, fuhrten zu
Prozessen kultureller Ab- und Ausgrenzung, die nach wie vor mentale
Barrieren darstellen. Die Erinnerung an kulturelle Gemeinsamkeiten war
in den Hintergrund getreten, allseits wurden Strategien, die der
Konstruktion nationaler Identitat dienten, verfolgt. Die in der ersten
Halfte des 19. Jahrhunderts in Wien, dem Zentrum politischer Macht des
Habsburgerstaates, erschienenen gelehrten Zeitschriften und
Unterhaltungsblatter, die sich als "nicht politische" Organe
definierten, haben in Form von Abhandlungen und Skizzen,
Korrespondenzberichten, Notizen, Buchanzeigen und -besprechungen, und in
ihren belletristischen Teilen durch Abdruck von literarischen Kurztexten
trotz Zensur und Gangelung der Presse nicht zuletzt auch Wissen uber den
zentraleuropaischen Raum vermittelt. Das Wiener Vormarz-Slavica-Projekt
hat sich die Auswertung dieser Quellen zum Ziel gesetzt. Dies geschieht
in Form einer nach Themenbereichen gegliederten kritischen
Bestandsaufnahme und Inventarisierung des Materials.